Olivers Filmwelten

Aus Leidenschaft zum Film


„Winterreise“

Deutschland, 2006

Bewertung: 5 von 5.

Wie wenig der deutsche Gegenwartsfilm sowohl vom Publikum als auch von der Filmbranche selbst als Kunstform wahr- und ernstgenommen wird, geschweige denn geschätzt wird, zeigt sich nicht zuletzt daran, wie veröffentlichungstechnisch mit ihm umgegangen wird.
So ist das mit zahlreichen namhaften Filmpreisen überschüttete Frühwerk des Regisseurs Hans Steinbichler, angefangen von seinem 2003er Debüt „Hierankl“, einem modernen Anti-Heimatfilm mit der großartigen Johanna Wokalek in ihrer ersten Hauptrolle, bis zum 2011er Demenz-Drama „Das Blaue vom Himmel“ zur Zeit nur noch Second Hand auf DVDs verfügbar, nach HD-Veröffentlichungen braucht eins gar nicht erst zu suchen.
So hat denn auch sein Film „Winterreise“ über Medimops den Weg zu mir gefunden.
Stimmungstechnisch angelehnt an Schuberts gleichnamigen Liederzyklus, der auch die musikalische Untermalung des Films darstellt, erzählt Drehbuchautor und Regisseur Steinbichler die Geschichte des bayerischen Eisenwarenhändlers Franz Brenninger, der kurz vor dem Bankrott steht und sich in seiner Verzweiflung auf einen dubiosen Handel mit nigerianischen Geschäftsleuten einlässt.
Es wäre ein leichtes gewesen diese Figur der Lächerlichkeit preis zu geben, doch der Film geht einen anderen Weg.
Dem bayerischen Urgestein Josef Bierbichler, der von Herzog über Achternbusch bis Tykwer und Haneke mit nahezu allen bedeutenden deutschen Regisseuren der Neuzeit gedreht hat, gelingt in der Hauptrolle der schwierige Balanceakt zwischen dem Abscheu hervorrufenden Menschenfeind einerseits und einem verletzlichen und eigentlich völlig hilflosen, psychisch kranken und einsamen Mann andererseits in beeindruckender Weise.
Neben dieser schauspielerischen Tour-de-Force behaupten sich vor allem die große Hanna Schygulla als seine Frau Martha und die zwei Jahre zuvor für Fatih Akins „Gegen die Wand“ vielfach ausgezeichnete Sibel Kekilli als kurdisch-stämmige Übersetzerin Leyla.
Steinbichlers Stamm-Kamerafrau Bella Halben findet dafür erneut stimmungsvolle, ganz eigene Bilder, wie man sie in ihrer unaufdringlichen Kunstfertigkeit und gleichzeitigen Einfühlsamkeit für die Charaktere im deutschen Kino und Fernsehen (sie ist kameratechnisch für einige der besten neueren Tatort-Folgen verantwortlich) nur viel zu selten zu sehen bekommt.



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