USA, 1992
Anläßlich des Todes von David Lynch habe ich mir am Wochenende einen seiner wohl am kontroversesten aufgenommenen Filme angeschaut: „Twin Peaks: Fire Walk with Me“.
Bei Erscheinen von Kritikern wie Publikum gleichermaßen abgestraft, ist Lynch bei genauerer Betrachtung aber genau das Prequel zu seiner Erfolgsserie „Twin Peaks“ gelungen, von dem wir nicht wussten, dass wir es brauchen.
Dass er sich zu Beginn mit der Einführung neuer Figuren erstmal vom hermetischen Kosmos der Serie zu verabschieden scheint, war den Produktionsumständen geschuldet, vor allem der Tatsache, dass Kyle McLachlan ursprünglich (wie einige andere Darsteller*innen auch) keine Lust hatte, an dem Film mitzuwirken. Als er seine Meinung dann änderte, kam Agent Cooper halt zurück und sein Ersatz verschwand auf mysteriöse Art und Weise aus dem Film.
Aber im Zentrum der Handlung stehen ohnehin Sheryl Lee als Laura Palmer und Ray Wise als ihr Vater.
In erstaunlich schonungslosen Bildern, die nicht zuletzt dank des hier als Kameramann tätigen Exploitation-Regisseurs Ronald Víctor García mehr als nur Anleihen beim Horror- und Terrorfilm der Siebziger und Achtziger nehmen, und unterlegt von Angelo Badalamentis eindringlichem Score (und ein paar nicht weniger hypnotischen Eigenkompositionen von Lynch) präsentiert uns der Filmemacher ein Mißbrauchsdrama, das bei allem mystischen Drumherum in den richtigen Momenten eine schmerzvolle Unmittelbarkeit erreicht, der sich zu entziehen nur schwer möglich ist.
Lynch geht dabei keinesweg den leichten Weg, weder für sich als Erzähler, noch für die Zuschauer*innen: seine Laura Palmer ist nicht das von allen geliebte All-American-Girl von nebenan, nicht die Unschuld, die einem Monster zum Opfer fällt. Als sympathische Identifikationsfigur eignet sie sich nur bedingt, jedoch erzeugt der Film auch nie das Gefühl, sie habe ihr Schicksal wegen ihres Lebenswandels voller Drogen und Sex verdient. Derartige Moralität ist Lynch fremd, damit hebt er sich positiv von ähnlichen Genrebeiträgen ab, deren Stimmung er zwar hier und da übernimmt, aber nie deren Weltbild.
Genauso ambivalent wie Laura ist auch Leland Palmer, von Ray Wise erneut mit unter die Haut gehender Intensität gespielt, vom liebevollen Familienvater bis zum getriebenen Täter ist er die Verkörperung der schmerzvollen Erkenntnis der Allgegenwärtigkeit des Bösen, für die nur die Erklärung der Besessenheit bleibt, die aber letztendlich für die Zuschauenden keine Erlösung bringt.
Dass Lynch der Figur der Laura Palmer aber am Schluss eben diese gönnt, mag auf den ersten Blick gerade in der Inszenierung kitschig wirken, ist aber in Wirklichkeit nur der überhöhte Ausdruck eines trotz allem zutiefst humanistischen Weltbildes, wie es vom „Elefantenmensch“ bis zu „Blue Velvet“ in seinem Schaffen immer wieder zu Tage tritt.
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