Frankreich, 2021
Eins kann „Titane“, den Film der französischen Regisseurin Julia Ducournau über eine Frau, die von einem Auto schwanger wird, für ausgemachten Mist halten, eins kann aber auch versuchen hinter die Oberfläche des Körperhorrors zu schauen und den Film im Folgeschluss mit der Goldenen Palme auszeichnen, wie 2021 in Cannes geschehen.
Als Kind verursacht Alexia einen Autounfall, in dessen Folge sie eine Titanplatte an der rechten Schläfe eingesetzt bekommt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus umarmt sie das Unfallauto und küsst es.
Jahre später arbeitet sie als Erotik-Tänzerin auf Underground-Autoshows, wo sie beim Publikum deswegen besonders beliebt ist, weil es so scheint als habe sie tatsächlich eine erotische Beziehung zu Autos. Niemand ahnt, wie nah dieser Eindruck der Wirklichkeit kommt.
Die Newcomerin Agathe Rousselle spielt die Rolle der Alexia im ständigen Wechsel zwischen Verletzlichkeit und Unnahbarkeit mit einer schmerzhaften Intensität, die in der Darstellung Vincent Lindons („La Haine„, „Betty Blue„) einen beruhigenden Gegenpol findet.
Julia Ducournaus Portrait zweier Menschen, die sich in ihrer Einsamkeit aneinanderklammern, greift viele Themen wie Körperdysphorie, Genderrollen und (Trans-)Sexualität auf und verpackt sie gerade im ersten Drittel des Films in, dank Kameramann Ruben Impens, sehr ästhetische aber auch unglaublich direkte Bilder, die den Zuschauer das eine ums andere Mal im Sessel zusammenzucken lassen.
Es sei denn man macht es wie die FSK und guckt mal kurz weg und gibt den Film anschließend ab 16 frei.
Also mich hätte der Film mit 16 zugegebenermaßen nicht nur thematisch, sondern auch angesichts von Szenen wie eines selbstversuchten Schwangerschaftsabbruches und der einen oder anderen Mordszene (Barhocker!) mehr als überfordert.
Und der Film verdient ein Publikum, das ihn versteht (oder zumindest erfasst), und das dann auch mit einem der erschreckensten und zugleich einfühlsamsten Filme der letzten Jahre belohnt wird.
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