DDR, 1965/2021
Im Rahmen des 11. Plenums des Zentralkomitees nach dem VI. Parteitag der SED wurden im Jahr 1965 unter der Federführung Erich Honeckers zahlreiche noch in Produktion befindliche oder bereits fertiggestellte Filme der DEFA als staatszersetzend und anti-sozialistisch verboten und teilweise sogar vernichtet. Erst in den 90er Jahren wurde begonnen, dieses dunkle Kapitel staatlicher Zensur aufzuarbeiten, und versucht, die Filme soweit möglich wiederherzustellen. Bei Kurt Barthels Alltagsmärchen „Fraulein Schmetterling“ gelang dies letztendlich erst 2021, aber nun ist er seit 2023 zusammen mit 18 anderen Kellerfilmen, wie die verbotenen Werke umgangssprachlich genannt wurden, in einer 19 DVDs umfassenden Edition mit dem Titel „DEFA: Verboten!“ erhältlich. In der früheren, auf zwei Boxen aufgeteilten Ausgabe war er noch nicht enthalten.
Im Vorspann des Films sehen wir Kinder wie sie mit auf der Straße abgestelltem Sperrmüll spielen. Eine junge Frau hebt einen kaputten Regenschirm auf und formt daraus zwei Schmetterlingsflügel, mit deren Hilfe sie vor den entsetzten Augen der herumstehenden Passant*innen davonfliegt.
Diese junge Frau ist die 17jährige Helene, älteste Tochter des jüngst verstorbenen Tabakwarenhändlers Oskar Raupe, die verzweifelt versucht einen Job zu finden, um sich und ihre kleine Schwester Asta zu ernähren.
Doch die verträumte Helene passt so gar nicht in das Gesellschaftssystem des Funktionieren-Müssens und so sehen sich die beiden schon bald mit dem Jugendamt konfroniert. Allein ein Besuch im Zirkus bietet ihnen die Möglichkeit dem tristen Alltag zu entfliehen.
Teilweise mit versteckter Kamera gedreht kombiniert Regisseur Kurt Barthel nach einem Drehbuch von Christa Wolf authentische Alltagsszenen mit surreal-märchenhaften Momenten zu einer poetischen und kraftvollen Geschichte über die Macht und den Wert der Phantasie sowie die Sehnsüchte einer jungen Frau und ihren Kampf gegen ein unmenschliches, nur von Leistung geprägtes System, dass er zugleich als Fassade und als Machtinstrument entlarvt.
Sowohl als Zeitdokument als auch als Mahnung hat „Fräulein Schmetterling“ bis heute nichts von seiner Bedeutung und Wichtigkeit eingebüßt. Darüberhinaus weiß er sowohl mit tollen Darstellungsleistungen als auch originellen Regieeinfällen zu begeistern.
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