USA, 1981
Die alleinstehende und unscheinbare, stumme Thana (eindringlich: die leider viel zu früh verstorbene Zoë Tamerlis) arbeitet in einer Schneiderei und wie viele andere Frauen sieht sie sich sowohl im Arbeitsumfeld als auch auf der Straße immer wieder Belästigungen durch Männer wie Cat-Calling und ähnliches ausgesetzt.
Eines Tages wird sie von einem maskierten Mann in einen Hinterhof gezogen und vergewaltigt.
Die Kamera konzentriert sich in dieser kurzen Szene gänzlich auf die Gesichter von Täter und Opfer. Davon, sie voyeuristisch auszukosten, nimmt Ferrara Abstand, auch sieht er es nicht für notwendig an, die Vergewaltigung durch zusätzliche Gewalt oder gar Folter genretypisch in ihrer Schrecklichkeit zu erhöhen.
Sein Rape&Revenge-Film „Ms. 45“ von 1981 verweigert sich somit den Klischees des Genres und sticht nicht zuletzt dadurch positiv aus diesem heraus.
Der reine Umstand der Vergewaltigung selbst ist bei ihm furchtbar genug und wird als solcher auch nicht durch die vermeintliche Notwendigkeit zusätzlicher Gewaltzelebrierung wie in anderen Filmen in seiner eigenen Grausamkeit entwertet.
Die einzige Steigerung, derer sich Ferrara bedient, ist die zweite Vergewaltigung, die unmittelbar nach Thanas Rückkehr nach Hause durch einen Einbrecher erfolgt. Dieser „Zufall“ mag konstruiert wirken, doch der Regisseur zerstört hier gnadenlos den letzten Safe-Space, in dem sich Frauen normalerweise vor den Belästigungen (und Schlimmerem) durch Männer sicher glauben: die eigene Wohnung.
Die Tatsache, dass Thana stumm ist, wird zudem zum verstärkten Sinnbild für die Unmöglichkeit über das Geschehene reden zu können.
Durch geschickt gewählte Bildausschnitte und Schnitte gelingt Ferrara immer wieder der Verzicht auf die voyeuristische Darstellung von Gewalt oder Nacktheit. Er unterläuft dabei des Öfteren bewusst die entsprechende Erwartungshaltung seines Publikums und hält diesem einen Spiegel vor.
Der spätere Rachefeldzug steigert zwar das Gewaltlevel, bleibt aber durch die ausschließliche Verwendung der Schusswaffe im Gegensatz zu ähnlichen Filmen glaubwürdig.
Das Bild von Thana im Nonnenkostüm mit leuchtendem Lippenstift und der 45er in der Hand ist heutzutage nahezu ikonisch.
Die jüngst bei meinem britischen Lieblingslabel Arrow Films erschienene 4K-Disc wartet mit einem detailreichen Bild und kräftigen Farben auf, zum Hochglanz-Thriller wird der Film dank der teils traumartigen Bilder des Kameramanns James Momel und des deutlich zu sehenden Filmkorns jedoch nicht. Die grimmig-triste Stimmung wird durch den perfekt abgestimmten Soundtrack von Ferraras Stammkomponist Joe Delia zusätzlich unterstrichen, insbesondere das Trompetenthema aus dem komplett in Zeitlupe gedrehten Finale hallt (wie der ganze Film) noch lange nach.
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