Olivers Filmwelten

Aus Leidenschaft zum Film


„Cabaret“

USA, 1972

Bewertung: 5 von 5.

Das Musical ist eine jener Filmgattungen, mit der ich mich von jeher (mit einigen Ausnahmen) eher schwertue. Dass mir dadurch auch ganz wunderbare Filme entgehen können, dafür ist die Verfilmung von „Cabaret“ ein leuchtendes Beispiel. Daher an dieser Stelle noch mal mein innigster Dank an die Person, die mir den Film näher gebracht hat.
Im Jahr 1931 lernt der englische Sprachwissenschaftler Brian Roberts (Michael York) in Berlin die Sängerin und Tänzerin Sally Bowles (Liza Minelli) kennen, die im Kit Kat Club in einer Cabaret-Show auftritt. Zwischen dem schüchternen Brian und der lebenshungrigen und offenherzigen Sally entwickelt sich eine interessante Beziehung, vor allem als der Aristokrat Maximilian von Heune (Helmut Griem) in ihrer beiden Leben tritt.
Die Handlung entspinnt sich vor dem Hintergrund der schleichenden Machtergreifung der Nationalsozialisten, von Regisseur Bob Fosse teils mit mutigen Regieentscheidungen wie der Parallelmontage zwischen einer Schuhplattler-Nummer im Cabaret und dem Angriff eines Nazi-Schlägertrupps auf einen Ladenbesitzer beklemmend und unheilvoll in Szene gesetzt.
Liza Minelli (die Tochter von Judy Garland) ist gesanglich wie schauspielerisch eine wahre Naturgewalt, verführerisch, aufmüpfig und doch zerbrechlich, wofür sie völlig zu Recht den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle erhielt.
Michael York und Helmut Griem schlagen sich mehr als tapfer neben ihr und Fritz Wepper darf in einer Nebenrolle beweisen, dass er mehr kann als nur für einen deutschen Fernseh-Oberinspektor den Wagen vorzufahren.
Den Oscar für die beste männliche Nebenrolle erhielt Joel Grey als Conferencier des Cabarets, obwohl er außerhalb der Bühnenauftritte, die von der Filmkritik ein wenig hilflos als exzentrisch beschrieben wurden, gar nicht wirklich in Erscheinung tritt.
Im Aufbrechen herkömmlicher Geschlechterrollen, das sich (noch stärker als bei Minellis Figur) nicht nur in der Gardrobe sondern gerade auch seiner Mimik und Körpersprache zeigt, manifestiert sich jene Freiheit, die sich im Cabaret der Weimarer Republik unter dem schützenden Deckmantel der Kunst entwickeln konnte und die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten ein jähes und grausames Ende finden sollte.
Regisseur Bob Fosse gelingt es auch gerade durch dieses Setting einen Film zu kreieren, der erstaunlich offen mit Themen wie Homosexualität, Sex-Positivität aber auch Abtreibung umgeht und trotzdem mit Oscars überschüttet wurde.
Neben den bereits erwähnten Schauspiel-Oscars und der Filmmusik wurde auch die Kameraarbeit von Geoffrey Unsworth mit der begehrten Trophäe belohnt. Unsworth, der drei Jahre zuvor für Kubriks „2001“ Bilder auf die Leinwand gezaubert hatte, wie das Publikum sie noch nie zuvor gesehen hatte, bricht radikal mit dem bisher üblichen bloßen „Abfilmen“ des Bühnengeschehens und läßt seine Kamera mal zwischen den Zuschauer*innen hindurchschleichen, nur um sie im nächsten Augenblick den Akteurinnen auf der Bühne so nahe zu bringen wie es die Zuschauenden wohl gerade gerne wären.
Die schon etliche Jahre alte deutsche DVD-Veröffentlichung zeigt den Film im beschnittenen Vollformat, wodurch an den Seiten Bildinformationen verloren gehen, und ist ein trauriges Relikt der Zeit als die Fernseher noch klein und (fast) quadratisch waren und man den Zuschauer*innen keine Balken auf dem Bildschirm zumuten wollte. Es ist eine Schande, dass dieser Film hierzulande in keiner besseren Fassung vorliegt, und eins als Filmlieberhaber*in bei der Blu ray mal wieder gezwungen ist, auf eine amerikanische Veröffentlichung zurückzugreifen, die allerdings im vorliegenden Fall (wie bei der Warner Archive Reihe glücklicherweise üblich) auch auf europäischen Playern läuft.



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