Olivers Filmwelten

Aus Leidenschaft zum Film


„Medusa“

Brasilien, 2021

Bewertung: 5 von 5.

Eine junge Frau steigt nachts allein aus dem Bus und läuft durch die Dunkelheit, dann fängt sie an zu rennen. Doch die Gestalten, die hinter ihr her sind, sind keine Männer, sondern eine Gruppe junger Frauen mit weißen Masken vor ihren Gesichtern. Als sie sie einholen, werfen sie sie zu Boden, beschimpfen sie als „Schlampe“ und „Sünderin“, treten und schlagen auf sie ein, und lassen erst von ihr ab, als sie weinend vor laufender Handykamera verspricht, sich zu bessern und Jesus in ihr Herz zu lassen.
Mit dieser beklemmenden Szene beginnt „Medusa„, der zweite Film der brasilianischen Genre- und Autorenfilmerin Anita Rocha da Silveira.
Doch nicht etwa das Opfer dieser Tat ist die Hauptfigur des Films, sondern Mariana, eine der Täterinnen. Sie arbeitet in einer Schönheitsklinik und ist Mitglied in einer evangelikalen Vereinigung, für die ihre beste Freundin Michelle als Influencerin und Sängerin einer religiösen Girl-Band tätig ist.
Als Mariana bei einem der Überfälle im Gesicht verletzt wird, muss sie sich eine neue Arbeit suchen und nimmt eine Stelle als Pflegerin in einer Koma-Klinik an.
Die Regisseurin und Drehbuchautorin nennt ihren Film selbst einen Horror-Comedy-Musical-Mix, wobei für mich beim Anschauen der Horroraspekt schon von den dreien überwog, während die beiden anderen Genres lediglich teils als verstärkendes, teils als brechendes Stilmittel vorkommen.
Anita Rocha da Silveira entwirft ein dystopisches Brasilien, in dem in einer nicht allzu fernen Zukunft die Trennung von Staat und Kirche aufgehoben ist. Die Nähe dieser Kirche zum Faschismus zeigt sich nicht zufällig im propagierten Frauen- und Menschenbild, sowie ihrer Propaganda und ihren Schlägertrupps, sind doch die modernen Ultra-Rechten Brasiliens (ganz ähnlich derer, die gerade in den USA an der Macht sind) stark evangelikal geprägt.
In den kraftvoll farbigen Bildern von Kameramann João Atala, die von Brian de Palma und Dario Argento inspiriert sind, erzählt sie von internalisierter Misogynie, von Sexismus und Queerfeindlichkeit, die von religiösem Fanatismus gespeist werden, und lässt uns dabei hautnah und schmerzvoll miterleben, was Hugh Grant in „Heretic“ noch aussprechen musste, um es deutlich zu machen: Religion ist Kontrolle!
Anita Rocha da Silveira traut (und mutet) ihrem Publikum da doch deutlich mehr zu, entlässt es dafür aber auch mit einem großartigen, hoffnungsvollen Finale.
Die deutsche Blu-ray von Donau Film präsentiert den Film im portugiesischen Originalton mit optionalen deutschen Untertiteln und tollem Bild, und bietet als Extras zwei wirklich interessante, sich aber inhaltlich teilweise überschneidende Interviews mit der Regisseurin sowie ein informatives Booklet. Die auf der Hülle und im Interview versprochenen „Deleted Scenes“ habe ich bisher leider nicht gefunden.
Für kleines Geld kann der Film zur Zeit auch bei Prime, Apple TV oder YouTube geliehen werden (dort teilweise mit der Jahreszahl 2022 angegeben).



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