Olivers Filmwelten

Aus Leidenschaft zum Film


„Kein Tier. So Wild.“

Deutschland, 2025

Bewertung: 5 von 5.

Seit 2010 veröffentlicht der deutsche Regisseur Burhan Qurbani alle fünf Jahre einen neuen Film. Nach seiner beklemmenden Studie über die Entstehung der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen „Wir sind jung. Wir sind stark“ und seiner großartigen Neuverfilmung von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ hat er sich dieses Jahr an eine Neuinterpretation von Shakespeares „Richard III.“ gewagt, die ich im Kino leider verpasst habe.
Nun sind moderne Inszenierungen klassischer Bühnenstücke sowohl im Theater als auch im Film keine Seltenheit. Während viele Verfilmungen sich oft ja nur von der Handlung inspirieren lassen, sehen sich Theaterinszenierungen hingegen dem Spagat zwischen modernem Gewand und sprachlich altertümlich klingenden Texten gegenüber, den es zu überbrücken gilt.
Qurbani stellt sich diesem Balanceakt zusammen mit seiner Drehbuchautorin, der jungen Dramatikerin Enis Maci, die Shakespeares Sprachgewalt hierfür ins Deutsche und Arabische übertragen hat, sind die
die Lancasters und die Yorks bei ihnen doch keine Adelshäuser im England der Rosenkriege mehr, sondern arabische Familienclans im Berlin der Gegenwart.
Rashida, die jüngste Tochter des Clans der Yorks und dessen Anwältin, will sich mit ihrer Position innerhalb der Familie nicht mehr abfinden und beginnt sich durch Intrigen und Gewalt ihren Weg an die Spitze zu bahnen, allein ihre Schwägerin Elisabet stellt sich ihr in den Weg.
Qurbani und Maci ersetzen dabei alle zentralen Figuren des Stücks konsequent mit Frauen, nur die jungen Prinzen bleiben männlich, alle anderen Männer treten im Verlauf des Films mehr und mehr in den Hintergrund.
Die syrische Schauspielerin Kenda Hmeidan trägt mit ihrer ungeheuren Präsenz den zweieinhalb Stunden langen Film fast im Alleingang. Die Gravitas und Wucht, mit der sie die Verse vorträgt, verraten, dass sie vom Theater stammt, gehörte sie doch nach ihrer Flucht dem Exil Ensemble des Maxim Gorki Theaters in Berlin an. Aber auch mit jedem ihrer Blicke, mit jeder Faser ihres Körpers, mit jeder Haltung und Pose vermag sie uns mehr über diese Rashida zu sagen, als bloße Worte es könnten, sei es in ihrem immer gnadenloser werdenden Streben nach Macht oder ihrer Liebesbeziehung zu der ihr treu ergebenen Mishal.
Verena Altenberger als Elisabet verfügt über weitaus mehr Film- und Fernseherfahrung, u.a. als Polizeioberkommissarin Elisabeth Eyckhoff im „Polizeiruf 110“ und auch ihr gesteht der Film ihre Momente zu, in denen sie zeigen kann, was schauspielerisch in ihr steckt.
Kameramann Yoshi Heimrath kleidet die Geschichte in edle, ja beeindruckende Bilder, die ganz wie die Schauplätze des Films mit Fortschreiten der Handlung immer mystischer werden, immer mehr die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Traum und Wahn aufreißen und verwischen. Und die Komponistin Dascha Dauenhauer liefert dazu einen kongenialen, mal fiebrigen dann wieder treibenden Elektro-Soundtrack.
Qurbanis Film ist ein Film der Brüche, mehr noch als sein „Berlin Alexanderplatz„, Brüche zwischen Theater und Film, zwischen Tradition und Moderne, zwischen Wirklichkeit und Wahn, zwischen Empowerment und Machtstreben, zwischen den Erwartungen und Vorurteilen des Publikums und der Inszenierung, zwischen gezeigter Welt und Realität. Brüche, die der Regisseur und die Drehbuchautorin nicht versuchen zu kitten, sondern bewusst aufreißen, damit sich ihr Publikum daran reiben kann, bis es wehtut.



Eine Antwort zu „„Kein Tier. So Wild.“”.

  1. […] Kino viel öfter und sichtbarer. Wie ich gerade gelesen habe, hatte sein neuestes Werk „Kein Tier. So Wild.“ Anfang dieses Monats (von mir leider unbemerkt) seine […]

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